Dienstag, 15. April 2014

Psychologie des Schreibens

Wer schreibt, sollte sich eigentlich so wenig wie möglich mit seinem Arbeitsgerät beschäftigen.
Das ist etwas, das ich überhaupt nicht beherzige und was sich wohl auch nicht so schnell ändern wird.
Wenn irgendwo eine Software erscheint, die mir meine Schreibarbeit erleichtern könnte, lade ich mir sofort die Testversion und evaluiere sie ausführlich. Hey, gut investierte Zeit, wenn ich dadurch vielleicht irgendwann mal schneller und effektiver schreibe!
Dummerweise gibt's längst die perfekte Schreib-Suite. Sie heißt "Scrivener", wird in England von einem kleinen Team entwickelt und kostet den lächerlich geringen Preis von $40 (rechnet selbst um :) ). Kurz gesagt ist es nicht nur eine Textverarbeitung, sondern ermöglicht die Verwaltung von vielen einzelnen Text-Assets (Artikel, Kapitel, Szenen) innerhalb eines einzigen Projektfiles, erleichtert das Strukturieren eines Buches und gibt einem viele Tools an die Hand, per Metadaten die Textberge und Schnipsel zu bewältigen.
Ich hatte Scrivener in der Beta 0.8 zu meinem Haupt-Tool erwählt und jahrelang damit begeistert gearbeitet. Als es noch Mac-exklusiv war, sind viele Autoren auf Apple gewechselt, um es benutzen zu können. Inzwischen gibt es auch eine Windows-Konvertierung und sogar eine Linux-Version.
Letztes Jahr hatte ich zwei Buchprojekte, die ich mittendrin von Scrivener weg migriert habe - und da kommen die Chromebooks ins Spiel.

Das eine Buchprojekt musste schnell geschrieben werden, aber verlangte nicht ganz so komplexe strukturelle Arbeit. Da ich immer gern zwischen Desktop, Notebook und gelegentlich iPad gewechselt habe, bedeutete das: immer wieder das Scrivener-Projektfile auf Sticks kopieren oder Textstellen, an denen man arbeiten will, auf Dropbox ablegen, um per iPad darin rumfuhrwerken zu können - und dann wieder manuell alles ins Scrivener-File zurück pasten (eine iPad-Version Scrivener ist seit letztem Jahr angekündigt, aber noch ist kein Release absehbar). Ich überlegte, den Text ausschließlich mit Dropbox-Texteditoren zu bearbeiten, aber entschied mach dann, auf Google Drive (genauer: Google Docs) dafür umzusteigen. Ein bewährtes Tool und eine verlässliche Cloud-Infrastruktur. Einfach um den Buchtext ohne Umwege direkt und einfach bearbeiten zu können, wann immer die Inspiration die Tür eintritt.
Und das funktionierte bestens.
Ich konnte wirklich von jedem Rechner direkt in das File einstiegen, ja ich konnte sogar das gleiche File auf zwei Rechnern gleichzeitig offen haben und bearbeiten. Dank WLAN-Hotspot ist man heutzutage auch fast immer online, und wenn doch, konnte ich offline schreiben und später synchronisieren. Backup passiert automatisch auf die Cloud.
Der nächste Schritt war die Anschaffung des Samsung Chromebook. Klein, leicht, 6h Akku. Natürlich hätte das Buch auch komplett in Scrivener entstehen können, in Word, in einem Dropbox-Texteditor, in Libre Office. Aber spätestens, als ich ein halbes Kapitel in einem Arzt-Wartezimmer auf meinem Android-Smartphone schrieb, daheim das Chromebook aufklappte und nach zwei Sekunden Sync an der Stelle weiterschreiben konnte, wo ich aufgehört hatte - da war ich bekehrt. Das Manuskript wuchs nicht zu festen Bürozeiten, sondern immer und überall. Das Buch erscheint übrigens am 19. Mai.

Beim zweiten Projekt war es problematischer. Nicht der Umstieg an sich, sondern der Schritt dorthin.
Seit, puh, 2009 ist ein Politthriller aus meiner Feder angekündigt. Das Buch ist eine schwere Geburt, und ich habe bisher in keinen Roman mehr Arbeit reingesteckt. Ich habe geschrieben, umgeplant, mich in Sackgassen manövriert, alles umgestellt, den Schwerpunkt verändert, Charaktere umstülpt.
Nach einigen Jahren war es kein normales Scrivener-File mehr, sondern ein Moloch von 150 MB mit verschiedenen Manuskriptfassungen und Bergen von Recherchematerial. Dieses File rumzukopieren dauerte ewig (ein Scriv-File ist nicht ein einzelnes, sondern viele kleine Dateien in einem Paket). Ich suchte endlos in älteren Fassungen nach Dingen, die ich übernehmen wollte, schmiss Szenen raus, die ich dann doch zurückholte. Kurz - das gesamte Buch war mir völlig über den Kopf gewachsen.
Und letztes Jahr griff ich durch.
Ich exportierte NUR die aktuellste Fassung des Buches in ein einziges langes File. Ich ignorierte die hunderten Notizen und Umbaupläne, die Charakterstudien und Plotlines. (Auch hier gilt: hätte auch ein Libre-Office-File oder Word-Doc sein können - nicht das Schreibgerät an sich entscheidet.) Dann begann ich, das Manuskript zu überarbeiten.
Dieser Schritt hat das Buch wohl gerettet. Wenn ich weiterhin versucht hätte, den ganzen Notizen Herr zu werden, hätte ich mich auch in der nächsten Fassung verzettelt. Will heißen: nicht der Schritt zum Chromebook war die Hilfe, sondern der Schalter im Kopf. Bei anderen Leuten mag es genau andersrum rein - die haben sich in einem langen File verzettelt, entdecken Scrivener und retten ihr Manuskript dadurch, dass sie es darin in einzelne Szenen aufteilen und so Überblick gewinnen.
Bei mir war es einfach nötig, den Ballast über Bord zu werfen.
Das Buch erscheint, äh, nunja, bald irgendwann. Lektorat steht noch aus.

Eine andere Erkenntnis hatte ich auch letztes Jahr: ich kann nicht kreativ am Desktop schreiben. Oder nicht mehr. Ich habe es verlernt. Ich brauche ein Notebook. Nein, kein Tablet mit einer hutzeligen Tastatur, das ist bestenfalls eine Notlösung. Ein Notebook. Idealerweise Formfaktor 11,6 Zoll. Da bin ich näher am Text, und ich kann mich dorthin verziehen, wo ich gerade sein will. Mein Büro ist genau das geworden - ein Büro. Dort mache ich die Steuer.

Deswegen: Cloudwriting. Feste Schreibplätze und Datenträger? Nein, danke.

Ein Scrivener mit Cloud-Anschluss hätte ich trotzdem gern.

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